
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,
22 Jahre ist es nun her.
Saime Genc
Hülya Genc
Gülüstan Oztürk
Hatice Genc
Gürsün Ince
Am 29. Mai 1993 wurde die aus der Türkei stammende Familie Genç Opfer eines Brandanschlags, verübt von vier Neonazis.
Zwei junge Frauen und drei Mädchen, darunter die 9-jährige Hülya, starben. 14 weitere Familienmitglieder erlitten zum Teil lebensgefährliche Verletzungen.
Sie wurden fast alle hier geboren und sind hier aufgewachsen. Sie sind hier in die Schule gegangen. Sie wollten wie viele ihrer Altersgenossen ihre Zukunftsträume in diesem Land verwirklichen.
Sie sind heimtückisch und hinterhältig ermordet worden.
Wir werden sie nicht vergessen!
Wir können sie nicht vergessen!
Wir dürfen sie auch nicht vergessen!
Ihnen zu gedenken, in ihrem Namen zu mahnen ist im Jahre 2015 leider von so großer Wichtigkeit wie seit eben dieser Zeit nicht mehr.
Was wir seit einigen Monaten in Deutschland erleben, ruft all die schrecklichen Bilder und unerträglichen Erinnerungen wieder hoch.
Während Menschen vor den unzähligen Kriegen und humanitären Katastrophen in der Welt fliehen, ihr Zuhause verlassen müssen, formieren sich bei uns fremdenfeindliche Bewegungen.
In der Politik gewinnen so genannte asylkritische Parteien an Zulauf.
Das Boot sei voll, sagen sie.
Unsägliche Asyldebatten und ein politisch gewolltes Klima der Fremdenfeindlichkeit vergifteten auch damals den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Der Anschlag in Solingen geschah 3 Tage nach dem Parlamentsbeschluss zur Einschränkung des Grundrechts auf Asyl und nach einer Welle von Anschlägen, für die auch Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen und Mölln stehen.
Umso mehr schäme ich mich für jene Mitbürgerinnen und Mitbürger, die auch heute wieder Woche für Woche gegen eine angebliche Überfremdung des Abendlandes zu demonstrieren.
Gleichzeitig bin ich froh und unendlich dankbar für jede und jeden Einzelnen, die oder der sich diesen Leuten in den Weg stellt, ihnen widerspricht.
Wir dürfen nicht darauf reinfallen, dass der rassistische und menschenverachtende Protest der PEGIDA-Anhänger in angeblichen Abstiegsängsten begründet ist!
Wer bei PEGIDA auf die Straße geht ist männlich, Ende 40, gut gebildet, gutverdienend. Jeder Fünfte verdient mehr als 2500 Euro netto im Monat.
Wer glaubt ernsthaft, dass es hier um Abstiegsängste geht, für die man Verständnis haben sollte?
Es sind damals wie heute Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, die wegen ihres rassistischen und von Fremdenangst bestimmten Gedankengutes anderen die Mitmenschlichkeit versagen.
Wer unzufrieden ist mit der Regierungspolitik und dagegen demonstrieren möchte, der soll dies tun. Wer aber gegen die Schwächsten der Schwachen auf die Straße geht und seine Wut gegen sie richtet, hat kein Verständnis verdient.
Zwei Jahre nach Beginn des NSU-Prozesses haben wir dazu noch einmal eine besondere Verantwortung.
Wer kann ernsthaft vor einer Islamisierung Angst haben, wenn jahrelang eine rechtsradikale Mörderbande durch Deutschland zieht und Menschen hinrichtet, nur weil sie irgendwie anders aussehen, anders heißen.
Wir müssen verhindern, dass das gesellschaftliche Klima ein weiteres Mal mit rassistischem Gedankengut vergiftet wird.
Wir müssen die zukünftigen Generationen mahnen und davor warnen, welches Ausmaß an Unmenschlichkeit erreicht werden kann, wenn das passiert.
Von Frankfurt aus, vom Hülya-Platz aus, ist es notwendig, Jahr für Jahr ein Zeichen zu setzen, sowohl für die Freiheit und Gleichheit in dieser Stadt als auch für die Frankfurterinnen und Frankfurter ausländischer Herkunft, die in ihr leben.
Liebe Freunde und liebe Freundinnen,
Der humane und demokratische Charakter einer Gesellschaft misst sich daran wie sie mit ihren Minderheiten umgeht. Morde, Hetzen und Anschläge sind die extremen Formen einer gesellschaftlichen Praxis, in der Flüchtlinge und andersdenkende Menschen diskriminiert werden.
Jedoch stellen nicht nur die eine Gefahr dar, die diese Gewalt anwenden. Auch die Kräfte in unserer Gesellschaft, die diese Taten schweigend zur Kenntnis nehmen, die die dahinterstehenden Parolen nachvollziehen können und offen für deren Argumente sind, fördern eine menschenverachtende Stimmung und dürfen nicht unterschätzt werden.
Wir kämpfen dafür, dass Frankfurt eine weltoffene und tolerante Stadt bleibt, in der kein Platz ist für Parolen und Aktivitäten von Nationalisten und Rechtsextremen.
Diesen Wunsch möchten wir heute mit dem Gedenken an die Familie Genc und die anderen Opfer von Mordanschlägen zum Ausdruck bringen und gleichzeitig demonstrieren, dass in unserer Gesellschaft Ausgrenzung, Intoleranz und Rassismus keinen Platz haben dürfen.